Das Mikroskop als Lehrspielzeug im 18. Jahrhundert

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Nürnberger "Spielzeugmikroskop, 18.Jahrhundert

Das Mikroskop gehört heute wie selbstverständlich zum Bildungsrepertoire für Jugendliche. Sachbücher, etwa aus der Reihe WAS IST WAS, vermitteln Kindern Kenntnisse über das Mikroskop. Ebenso gehören Experimentierkästen (Kosmos Mikromann oder das Mikroskop) oder sog. Kaufhausmikroskope mit entsprechendem Zubehör zu den gängigen Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken. Beides, sowohl Sachbücher als auch Lehrmaterial mit einfachem Mikroskop, sollen junge Menschen an die Naturwissenschaften, vornehmlich an die Biologie, heranführen. Manch älterer Mikroskopiker hat mit solchen Büchern und v.a. Experimentierkästen seine Leidenschaft für die Mikroskopie entdeckt. Eine Sache unserer Zeit, möchte man meinen, doch reicht die Beschäftigung mit dem Mikroskop als Bildungsgegenstand weit in die Geschichte zurück.

Abb. 1: Experimentierkasten Kosmos Mikromann
Franckh’sche Verlagshandlung W. Keller & Co., 1954, 34,50 DM
Quelle: Deutsches Museum Digital, München, https://digital.deutsches-museum.de/item/1992-509/

Spielzeug aus Nürnberg?

Schon im 18. Jahrhundert wird das Mikroskop als Spielzeug zum Verkauf angeboten. So sollen bereits seit etwa 1750 in Nürnberg sog. Spielzeugmikroskope aus Holz und Pappe hergestellt worden sein; von hier kamen auch preisgünstige Mikroskope für den Liebhabermikroskopiker (Kambeck, 2009).



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Abb. 2: Nürnberger Pappmikroskop mit 2 Auszügen, um 1750
Quelle: Deutsches Museum Digital, München; https://digital.deutsches-museum.de/item/30819/

Joachim Friedrich Meyen (1707-1772)

Eine frühe Quelle aus Deutschland, die darauf hinweist, dass das Mikroskop auch zur Bildung von Jugendlichen geeignet sei, stammt aus Sachsen. 1747 veröffentlichte Joachim Friedrich Meyen die Druckschrift Kurzer Unterricht von der Beschaffenheit und dem Gebrauch der Vergrößerungsgläser und Teleskopien. Meyen war von Haus aus Jurist, betätigte sich aber nach eigenem Bekunden als Optiker, nachdem ihm der sächsische Kurfürst und polnische König, dem er einige Vergrößerungsgläser gezeigt hatte, dazu geraten hatte. Bei der Schrift handelt es sich um einen Katalog der optischen Geräte, die Meyen vertrieb, das waren Lupen, Mikroskope, Teleskope usw.

Abb. 3: Verlagsort: Dresden ; Leipzig | Erscheinungsjahr: 1747 | Verlag: Heckel
Quelle: Bayerische Staatsbibliothek, Münchener Digitalisierungszentrum, Digitale Bibliothek, 4 Phys.g.103. urn:nbn:de:bvb:12-bsb 10057811-0.VD18 11555858. Signatur: 4 Phys.g. 103 Permalink: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10057811-0

Meyen zielt in der Werbung für seine optischen Instrumente auch auf die Jugend. Er beruft sich bei seinem Vorhaben auf die damals in der Wissenschaft führenden Nationen England, Holland und Frankreich, da man dort in der ersten Jugend zu dem Gebrauch der Vergrößerungsgläser anleitet, die ihnen die Schönheit der Natur entdecken, und sie für allerhand schädlichen Vorurtheilen bewahren. Er will also ästhetische als auch naturkundliche Ziele erreichen und kann darauf verweisen, dass auch in unseren Landen […] es nicht an Leuten, die ein Vergnügen daran finden, die Werke der Natur in denen Theilen kennen zu lernen, die unseren blossen Augen unsichtbar sind, fehle. Mit dem Verweis auf herrschende Vorurteile, die die Jugend meiden soll, bekennt er sich ausdrücklich zur Aufklärung, die in Deutschland ihre wesentlichen Anstöße ja aus den von ihm genannten Ländern erhielt.

Um seine Ansicht über den Nutzen des Mikroskops zu untermauern, verweist Meyen auf die Diskussion um die Urzeugung, die durch mikroskopische Erkenntnisse widerlegt sei. Selbst die grössesten Weltweisen glaubten im vorigen Jahrhundert die Erzeugung aus der Fäulniß, da nemlich eine leblose, auch wohl faule flüssige Materie, im Stande wäre, etwas lebendiges hervorzubringen. Nachdem man sich aber der Vergrößerungsgläser bedienet: finden wir, daß die zur Erzeugung unentbehrlichen Materien sowohl bey denen Pflanzen mit vegetabeln, als auch bey denen Thieren mit animalischen Körpern versehen sind. Meyen verweist hierbei auf Athanasius Kircher (1602-1680), der mit dem mikroskopischen Nachweis vermutlich erstmals auf induktivem Wege Kleinlebewesen in Milch und Essig nachwies, und möglicherweise auch auf Antoni van Leeuwenhoeks (1632-1723) Beobachtungen der Infusoren (zu Kircher und Leeuwenhoek s. Jahn, 2002).

Im Weiteren gibt Meyen genaue technische Beschreibungen der von ihm zum Kauf angebotenen Geräte, von den einfachen bis zu den zusammengesetzten Vergrößerungsgläsern bzw. Mikroskopen mit Spiegel.

Unter den einfachen Mikroskopen mit nur einer Linse führt Meyen ein Insectenglas an (Tab. I, A). Es handelt sich um ein zylindrisches oder conisches Gläsgen, mit einer Schraubenmutter. Hierdurch geht eine Schraube, in der das Vergrösserungsglas befindlich ist. Man schraubt die Schraube mit dem Glase hinaus und legt in das Gläsgen ein Insect, eine Münze, oder ein dergleichen Object.

Das Insectenmikroskop A kann als Vorläufer der heutigen Becherlupe angesehen werden, wie sie in einfacher Form – aus Plastik – heute für Kinder gefertigt wird und auch in Kitas und Schulen zum Einsatz kommt. Mit der Lupe B sollten Gegenstände betrachtet werden, die zu groß für das Insectenmicroskop seien oder sich nicht passgerecht verkleinern ließen.

Als eigene Erfindung gibt Meyen das Instrument in Tab. II aus, mit dem sich Objekte für die genaue und fokussierte Beobachtung fixieren lassen. Tab. III stellt ein ebenfalls von Meyen hergestelltes Zirkelmikroskop dar, das als Auflichtmikroskop genutzt werden sollte. Dazu besaß es einen sog. Lieberkühnschen Spiegel (benannt nach Johann Nathaniel Lieberkühn, 1711-1756), d.h. einen Hohlspiegel mit einem Loch in der Mitte, durch das Licht auf das Objekt fiel. Mittels des Zirkels konnte das Objekt besfestigt und in seiner Stellung zur Linse verstellt werden. Tab. IV zeigt das „Wilsonische Hand-/oder das Kulpersche Sackmikroskop“ (James Wilson, 1665-1730; Edward Culpeper, 1660- ca. 1740). Das heißt Meyen bot hier einfache Durchlichtmikroskope nach dem Vorbild englischer Instrumentenmacher an.

Glanzstück ist ein zusammengesetztes Mikroskop. Es ist für Durchlicht- und Auflichtmikroskopie geeignet, zudem können Flüssigkeiten in einer kleinen Flasche beobachtet werden, die am Mikroskop angebracht werden kann. Meyen gibt in seinem Katalog den Engländer George Sterrop (1715-1756) fälschlicherweise als Erfinder des neuartigen von John Cuff (1708-1772) entwickelten englischen Mikroskoptyps aus. Sterrop hatte jedoch nur das cuffsche Gerät nachgebaut – eine nicht nur damals durchaus öfter geübte Praxis. Die falsche Erfinderangabe Meyens wurde von vielen Autoren der Zeit kolportiert (Gerlach, 2009) und stellte das Verdienst Cuffs in den Schatten.

Abb. 6: Das große zusammengesetzte Mikroskop aus Meyens Katalog
Quelle: wie Abb. 3

Im Anschluss an die technischen Beschreibungen gibt Meyen noch Beispiele dafür, was alles durch seine optischen Geräte beobachtet werden kann. Neben Teilen einer Mücke und Spitzen der Kornähre gehören dazu auch Schnitte durch Holz, Brennhaare der Brennnessel und Blut im Blutkreislauf sowie die Lunge in Wassereidechsen, alles gängige Beispiele aus der zeitgenössischen Literatur.

Meyen gibt auch Preise für seine Geräte an. Das Insectenglas sollte 1 Thaler kosten, ein zusammengesetztes Mikroskop je nach Ausstattung von 10 bis zu 100 Thalern. Es waren sicherlich keine Geräte für den kleinen Geldbeutel, die Käufer stammten aus wohlhabenden Kreisen.

Meyen geht also von einem sehr naturkundlich-technischen Ansatz aus, um die Jugend aus wohlhabenden und bildungsbeflissenen Kreisen mit dem Mikroskop vertraut zu machen. Ihm geht es um Erkenntnisse, die mit seinen Geräten nachzuvollziehen oder gar neu zu gewinnen sind.

Abb. 7 :Sterrop-Mikroskop nach Cuff, ca. 1750
Quelle: Golub Collection of Antique Microscopes – DSC04708.JPG. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1750_circa,_Sterrop_Cuff-style_microscope,_George_Sterrop,_England,_bulls-eye_lens_-_Golub_Collection_of_Antique_Microscopes_-_DSC04708.JPG?uselang=de. Diese Datei wird unter der Creative-Commons-Lizenz „CC0 1.0 Verzicht auf das Copyright“ zur Verfügung gestellt. Microscope in the Golub Collection of Antique Microscopes, exhibited at the University of California, Berkeley – Berkeley, California, USA



Das Mikroskop im frühen Jugendbuch

Die Aufklärer nahmen auch das Jugendbuch in den Blick. Seit dem 17. Jahrhundert druckte man illustrierte Bücher in höherer Auflage. Einen ersten Höhepunkt der Gattung bildete der 1658 erstmals erschienene Orbis sensualium Pictus von Johann Amos Comenius, der über 240 Mal aufgelegt wurde. In Comenius‘ Realpädagogik spielte die Anschauung eine wichtige Rolle. Holzschnitte und beigegebene Texte vermittelten bei ihm die Natur-, Sach- und Gesellschaftskunde.

Im 18. Jahrhundert wurde die Form weiterentwickelt. So bediente sich auch die erste reformpädagogische Bewegung in Deutschland, die von den sog. Philantropen gebildet wurde, des illustrierten Buches. Die Philantropen wollten nicht nur die Schule, sondern allgemein die Erziehung reformieren.

Zu den führenden Vertretern gehörten Johann Bernhard Basedow als Vorreiter der Bewegung, Christian Gotthilf Salzmann, der erste Inhaber eines pädagogischen Lehrstuhls in Deutschland, dem nicht nur die Schulpädagogik, sondern auch die  Familienpädagogik am Herzen lag, und nicht zuletzt Johann Heinrich Campe, der u.a. vielbeachtete Schriften für Kinder und Jugendliche veröffentlichte. Es waren vom Ursprung her Theologen, die ihre Erziehungsgrundsätze an der Aufklärung orientierten. Ihr Ziel war es, die jungen Menschen durch eine kindgerechte Pädagogik für ein tugendhaftes, d.h. moralisch anständiges und nützliches Wirken in der damaligen ständischen Gesellschaft zu erziehen. Zu ihren umfassenden, enzyklopädischen Bildungszielen gehörte auch der Unterricht in Realien, zu denen die Naturkunde zählte. Dabei verfolgten sie einen anschaulichen Unterrichtsstil und entwickelten entsprechend ausgestattete Schul- und Jugendbücher.

Berühmt wurde das Elementarwerk Basedows, das 1770-1774 erschien. Die meisten Kupferstiche steuerte Daniel Chodowiecki bei, der bedeutendste Kupferstecher seiner Zeit. Das Elementarwerk umfasst insgesamt 96 Bildtafeln, die in Texten erläutert wurden. Dieses Werk wurde zum Vorbild vieler folgender Bilderbücher und bildete das Beispiel für eine Didaktik, zu deren wesentlichen Mitteln das Bild und die Anschauung gehören. Zu den berühmtesten Nachahmern des Elementarwerks zählt Friedrich Johann Justin Bertuchs Bilderbuch für Kinder in 12 Bänden (1790-1830). (Danelzik-Brüggemann, 1998, Deutsches Museum, 2009)

Johann Sigmund Stoy (1745-1808)

Ein früher Bewunderer und Nachahmer Basedows war Johann Sigmund Stoy, der 1780 bis 1784 seine Bilder-Akademie für die Jugend edierte. Zu den Künstlern seines Werks zählen Daniel und Carl Christian Chodowiecki, Johann Georg Penzel und Johann Schellenberg, die z.T. auch die Stiche selbst herstellten. Stoy erweckt unser Interesse, weil er Mikroskope, darunter ein größeres zusammengesetztes Mikroskop, zu Bildgegenständen erhebt, und nicht wie die anderen zeitgenössischen Bilderbuchautoren nur die Ergebnisse der Mikroskopie, also die Zeichnungen mikroskopischer Objekte.

Er bedient sich dabei u.a. einer Quelle, die das Mikroskop nicht mit Hilfe eines Bildes vermitteln will, sondern als praktischen Bildungsgegenstand für die Jugend empfiehlt. Es handelt sich um den Katalog optischer Geräte des sächsischen Optikers Joachim Friedrich Meyen aus dem Jahr 1747.  Es bietet sich ein Vergleich von Stoy und Meyen an, der die unterschiedlichen Sichtweisen des Mikroskops als Bildungsgegenstand im 18. Jahrhundert herausarbeiten soll, zumal sich Stoy zwar unausgesprochen, doch unübersehbar auf Meyen bezieht.

Stoy war ursprünglich Pfarrer in Henfenfeld, einer kleinen Gemeinde nahe Nürnberg. Während dieser Zeit verfasste er schon Kinderbücher. 1782 gab er sein Pfarramt auf, zog nach Nürnberg und ließ sich den Titel eines Professors der Pädagogik verleihen. Sein Ziel, ein Erziehungsinstitut zu errichten, konnte er nicht erreichen, und so eröffnete er schließlich einen Handel mit Lehrmitteln. Damit bediente er einen Markt, der in der Hochzeit der Aufklärung sicher auch einigen Erfolg versprach, denn die gute Erziehung schien vielen unerlässlich, um den Erfolg der eigenen Kinder in der Gesellschaft zu fördern. Mit diesem Lebensweg steht er nicht allein da, auch andere Pastoren der Zeit wandten sich der Erziehung zu (te Heesen, 1997).

Stoy verfasst in seiner Nürnberger Zeit die Bilder-Akademie.  Er zielte mit seiner Publikation vor allem auf die schulische oder häusliche Erziehung vornehmlich Jugendlicher ab dem 12. Lebensjahr, empfiehlt sein Werk aber auch Erwachsenen als Lektüre. Seinen vielen Illustrationen auf Tafeln (Kupferstiche) sind erläuternde Texte beigegeben. Der Verfasser wollte damit eine Bildenzyklopädie bieten, die das grundlegende Wissen der damaligen Zeit aufbereitet. Zuerst in Buchform erschienen, bot Stoy sein Werk bald auch als Weltkasten an. Das ist wörtlich zu verstehen, denn der Kasten enthält die Enzyklopädie wohlgeordnet in 468 Bildern auf Pappe aufgezogen (te Heesen, 1997). Moderne Jugendsachbücher kann man in diese Tradition einordnen, auch wenn sie in der Regel nicht mehr wie Stoy alle Dinge der realen und religiösen Welt, neben der Geschichte und Religionsgeschichte u.a. auch die Physik und auch das Mikroskop, in die biblische Geschichte einordnen. Am ehesten knüpft die WAS IST WAS-Reihe aus dem Tessloff-Verlag als Ganzes noch an die enzyklopädische Tradition an, wobei der religiöse Impetus verloren gegangen ist. Moderne Medien wie das Fernsehen und das Internet verfolgen ähnliche Wege, wie die Reihe Planet Wissen des WDR mit seiner Webseite www.planet-wissen.de, auf der z. B. die erste Glasrezeptur, die Otto Schott für Ernst Abbé entwickelte, zu finden ist.

Abb. 8: Das Mikroscop,  aus: Stoy 1784. Tafel XXXIX.
Quelle: Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin: Werks-URN(URL): https://www.digi-hub.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:kobv:11-d-4739536; Seiten-URL https://www.digi-hub.de/viewer/image/BV043931165/85/ Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International License

Stoy zeigt mit der Tafel XXXIX neben vielen mikroskopischen Objekten auch einige Lupen und Mikroskope . Der Tafel wurde ein Text mit dem Titel Das Mikroscop beigegeben.

Stoy bezieht sich auf dasselbe zusammengesetzte Mikroskop wie Meyen und gibt es auch als Sterrops Erfindung aus, den er als vortrefflichen Künstler bezeichnet. Nicht nur dieses Lob ist dabei wörtlich dem Katalog Meyens entnommen. Auch die Abbildung des Sterropschen Geräts und einiger anderer einfacher Mikroskope und Lupen mit Ausnahme des Sonnenmikroskops (2) stammen daher. Nur sind die von Meyen abgekupferten Geräte nicht in annähernd so guter Qualität abgebildet. Das 18. Jahrhundert kannte noch kein Urheberrecht und derlei (oft spiegelbildliche) Übernahmen waren gang und gäbe.  Schellenberg hatte die Mikroskoptafel im Auftrag Stoys geschaffen. Dabei pflegte er durchaus einen anderen Stil als Meyens Künstler. Die Stiche wirken verschwommen und z.T. stimmt die Perspektive nicht. Die Originalgeräte hat Schellenberg wohl nicht gesehen und auch deren Funktion nicht immer verstanden. Jedenfalls mangelt es den von ihm abgebildeten Geräten an Standfestigkeit und die Funktion mancher Griffe und Halterungen bleibt dem Betrachter auch verborgen (Nr. 1, 6 u. 5).

Anders als bei Meyen werden die mikroskopischen Objekte jedoch bildlich dargestellt und nicht bloß verbal beschrieben. Hier ist Stoy durchaus anschaulicher als seine Vorlage.

Liest man den Text Stoys, fällt auf, dass er in zwei Teile zerfällt, die nicht recht zusammenpassen. Einerseits formuliert er sehr genau, dem naturwissenschaftlichen Sujet angemessen, andererseits überhöht er seinen Gegenstand religiös und verlässt die sachliche Ebene. So drückt er sich über weite Strecken sehr exakt aus, wobei er sich z.T. durchaus eines enthusiastischen Tons bedient, den man dem Jugendbuchautor, der das junge Publikum zum Mikroskopieren anhalten will, zubilligen kann: Die einfachen Mikroscope (3.4.5.6.) bestehen nur aus einem einfachen gläsernen Küchelchen (sic!), oder einem convexen Gläschen. Damit man aber die Sache, die man vergrößert sehen will, ganz genau gegen das Glas stellen und dem Auge nach Gefallen näher rücken kann, hat man verschiedene Instrumente, Gläser und Gestelle dazu verfertiget. Zu denselben gehöret das Sonnenmikroscop. (2) Man lässet auf dasselbe, vermittels eines kleinen Spiegels, die Sonnenstrahlen fallen, da sich denn das vor solchem gebrachte Obiect, an der Wand einer verfinsterten Kammer, sehr groß präsentieret. Über das große Mikroskop fährt der Verfasser im gleichen Stil fort: Ein zusammengesetztes Mikroskop besteht aus zwey, drey oder vier convexen Gläsern, welche in Röhren zusammengesetzt sind. Das vollkommenste dieser Art hat man der Geschicklichkeit eines vortrefflichen Künstlers, Georg Sterrop zu danken. Es ist auf Tafel (1) abgebildet, und besteht aus folgenden Theilen: a b sind drey Röhren von Messing, in denen drey erhaben geschliffene Gläser sind.  Diese Röhren genau gegen das Obiect zu stellen, ist die viereckige Stange (c d) mit ihrer Schraube vorhanden. Die Obiecte genugsam zu beleuchten dienet der Spiegel g, den man gegen den Himmel stellen und den Schein deßelben durch h aufs Obiect werfen kann. Auf diese Art werden die durchsichtigen Sachen erleuchtet. Im gleichen Stil fährt der Verfasser fort, um noch die Auflichtfunktion, die Vorrichtung zur Betrachtung von Flüssigkeiten in einem Hohlglas und die Funktion des Holzkastens k zur Unterbringung der Utensilien zu erläutern.  In weiten Teilen handelt es sich dabei um eine stark gekürzte Fassung des Meyen-Textes.

Ähnlich sachlich werden die Objekte, deren Bilder die Mikroskopabbildungen kranzförmig umgeben, beschrieben. Darunter befindet sich die Laus (7), Fischschuppen (12), die Schlänglein im Essig, ein Spinnengewebe mit einer äußerst feinen Brabanter Spitze (21), abgesprungene Stückchen vom Feuersteine und Feuerfunken vom Stahl (22). Es folgen weitere Betrachtungen über mikroskopische Entdeckungen, die nicht auf der Tafel wiedergegeben sind. Dazu gehört, dass man bei dem Schmetterlinge 34650, und bey der Fliege 16000 Augen zehlen kann […] daß der Schimmel auf einem Stück Brod ein dicker Wald von Frucht-tragenden Bäumen ist usf. Es werden noch Betrachtungen über die Feinheit und Geschwindigkeit der Lichtstrahlen und über die Käsemilbe angestellt.

Stoys religiöse Schlussfolgerungen

Soweit bleibt der Text bis hierhin der Sache angemessen. Der zweite Teil verfolgt jedoch ganz andere Ziele. Stoy verbindet nämlich mit dem Mikroskop keine naturwissenschaftlichen Schlussfolgerungen, wie sie auch für Zwölfjährige, seine Zielgruppe, in einfacher Form möglich wären. Zwar bleibt er nicht bei der bloßen Anschauung stehen, zieht aber alles andere als naturkundliche Schlüsse aus dem Gesehenen. Für ihn dienen die Instrumente dazu, die Wunder Gottes in der kleinen Welt kennen zu lernen – in den kleinsten Geschöpfen, oder den kleinsten Theilen derselben, welche das Auge zu bringen nicht vermag […]. Man kann solche Sätze nicht als zeittypischen Topos werten, denn in der Schlussbemerkung wird deutlich, dass Stoy die Möglichkeiten, die das Mikroskop bietet, nicht um der Naturkunde willen, sondern nur aus religiösen Gründen schildert. Die Allmacht Gottes ist an keinen Raum gebunden – Ein uns unsichtbarer Punkt ist für sie eine Wüsteney, die sich mit Geschöpfen erfüllet, welche die innersten Winkel der Natur anfüllen – und wo sich die Gottheit an Meisterstücken vergnügt, von welchen wir kaum mehr wissen, als, daß sie vorhanden sind. Die religiöse Absicht wird vollends deutlich, wenn wir den Zusammenhang betrachten, in den Stoy das Mikroskop stellt. Es gehört innerhalb seiner Enzyklopädie zur zweiten Klasse der Wunderwerke Christi, die den Jugendlichen im Zusammenhang nahezubringen sind. Diese zeigen von Gottes Größe, welche man auch im Naturreiche, z. E. 5. des Mikroscops, 6. und mehrerer Werkzeuge der Experimentalphysik wahrnimmt. Dazu gehören auch noch Christi Wunder und etwas von den Wundern der Heiligen, Christus der wahre Messias und andere religiöse Wunder mehr.

Abb. 9: Stoy, große Seite mit der 2. Klasse der Wunderwerke Christi“, darunter rechts die Physik und links die Mikroskopie
Quelle: wie Abb. 8

Der Text verfolgt offensichtlich eine deutlich theologische Zielrichtung. Seine Gegenstände sollen ein Bild der Welt vermitteln, das christlich begründet ist. Das sachliche Bild der mikroskopischen Geräte und Objekte und die entsprechend präzise Beschreibung stehen zu diesen Schlussfolgerungen im Widerspruch. Gleiches gilt auch für die Darstellung der physikalischen Experimente, die ebenfalls in den Zusammenhang göttlicher Wunder gesehen werden (te Heesen).

Fazit

Die unterschiedliche Herangehensweise Meyens und Stoys an die Mikroskopie und die damit möglichen Erkenntnisse weisen Grundzüge auf, die auch den Auseinandersetzungen um die Behandlung des Faches Naturkunde bzw. Biologie gegen Ende des 19. Jahrhunderts zugrunde lagen. Die Ablehnung der Erkenntnisse Darwins durch kirchliche Kreise hatte 1879 zum Biologieverbot an den preußischen Gymnasien geführt und das Fach an den Schulen nahezu ausgeschaltet.  

Quellen:

Meyen, J. F.: Kurzer Unterricht von der Beschaffenheit und dem Gebrauch der Vergrößerungsgläser und Teleskopien. Mit Kupfern. bei Friedrich Sekel,  Dresden und Leipzig, 1747.

Stoy, J. S.: Bilder-Akademie für die Jugend. Abbildung und Beschreibung der vornehmsten Gegenstände der iugendlichen Aufmerksamkeit – aus der biblischen und Profangeschichte, aus dem gemeinen Leben, dem Naturreiche und den Berufsgeschäften, aus der heidnischen Götter- und Alterthumslehre, aus den besten Sammlungen guter Fabeln und moralischer Erzählungen – nebst einem Auszuge aus Herrn  Basedows Elementarwerke. In vier und funfzig Kupfertafeln und zweyen Bänden Erklärung herausgegeben von J. S. Stoy, Prof. der Pädagogik in Nürnberg, Band 2, S. 810-815, Nürnberg, 1784.

Bildquellen:

Abb.1: Quelle: Deutsches Museum München Digital, https://digital.deutsches-museum.de/item/1992-509/

Abb. 2: Deutsches Museum Digital, München; https://digital.deutsches-museum.de/item/30819/

Abb. 3-6:Joachim Friedrich Meyen, Königl. Pohln. und Churf. Sächs. Hofoptici, Kurzer Unterricht von der Beschaffenheit und dem Gebrauch der Vergrößerungsgläser und Teleskopien. Mit Kupfern. Dresden und Leipzig 1747. Bayerische Staatsbibliothek, Münchner Digitalisierungszentrum, Digitale Bibliothek, 4 Phys.g.103. urn:nbn:de:bvb:12-bsb 10057811-0.VD18 11555858. Signatur: 4 Phys.g. 103 Permalink: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10057811-0

Abb. 7: 1750 circa, Sterrop Cuff-style microscope, George Sterrop, England, bulls-eye lens – Golub Collection of Antique Microscopes – DSC04708.JPG. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1750_circa,_Sterrop_Cuff-style_microscope,_George_Sterrop,_England,_bulls-eye_lens_-_Golub_Collection_of_Antique_Microscopes_-_DSC04708.JPG?uselang=de. Diese Datei wird unter der Creative-Commons-Lizenz „CC0 1.0 Verzicht auf das Copyright“ zur Verfügung gestellt. Microscope in the Golub Collection of Antique Microscopes, exhibited at the University of California, Berkeley – Berkeley, California, USA

Abb. 8-9: Johann Sigmund Stoy: Bilder-Akademie für die Jugend, Nürnberg 1784. Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin: Werks-URN(URL):https://www.digi-hub.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:kobv:11-d-4739536; Seiten-URL https://www.digi-hub.de/viewer/image/BV043931165/85/ Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International License

Literatur:

Danelzik-Brüggemann, Chr.: Mit Bildern lernen. Die Dessauer Philanthropen und die Entstehung des illustrierten Schulbuchs. In: Brüggemeier, Fr.-J.,  Korff, G.,  Steiner, J. (Hrsg.): mittendrin – Sachsen-Anhalt in der Geschichte,  S. 271-274, Dessau 1998.

Gerlach, D.: Geschichte der Mikroskopie. Mit CD-ROM. Verlag Harry Deutsch, Frankfurt am Main, 2009.

Jahn, I. (Hrsg.): Geschichte der Biologie. 3. Auflage, Nikol Verlag, 2. korr. Sonderaufl. d. 3. Aufl. 1989, Hamburg 2002.

Kambeck, Bj. U.: http://www.kambeck.com/

te Heesen, A.: Der Weltkasten. Die Geschichte einer Bildenzyklopädie aus dem 18. Jahrhundert. Wallstein Verlag, Göttingen 1997.