Im Frühjahr 2024 hatte ich die Gelegenheit einige Sölle, die im Nationalpark Unteres Odertal als Naturschutzmaßnahme wieder gepflegt oder freigelegt werden, zu beproben. Sölle sind kleine Wasserlöcher ohne Abfluss, die während der letzten Eiszeit entstanden sind. Früher prägten sie die Geestlandschaft Norddeutschlands, wurden aber im Zuge der Intensivierung der Landwirtschaft häufig beseitigt. Für den Naturschutz sind sie wertvoll, denn sie stellen bedeutende Lebensräume für Fauna und Flora dar.
In so einer Senke stieß ich auf Brachionus urceolaris var. rubens (Br. rubens), eine nicht seltene, aber wegen ihrer Lebensweise interessante Rädertierart.(Bild 1) Br. rubens lebt in Tümpeln sowie Teichen und ernährt sich von kleinen Algen, Bakterien und Detritus.


Br. rubens gehört zu den planktischen Rotatorien, d.h. zu den frei im Wasser schwebenden Arten, heftet sich aber auch am Panzer von Wasserflöhen (Cladoceren, Daphnien) fest, sie wird daher auch zu den Epöken oder Aufsitzern gezählt.(Bild 2) Epöken setzen sich direkt auf die Haut, auf die Haare, Federn oder auf ein Exoskelett (Panzer, Gehäuse) eines Wirtstieres. Sie kommen häufig unter Wasserorganismen vor. So leben Sauginfusorien und Glockentierchen auf dem Panzer von Ruderfußkrebsen oder Rädertierchen. (Bild 3 u. 4)


Wulfert stellte die These auf, dass Br. rubens „[…] sich an die Schalen von Daphnia [heften] und […] sich von ihnen mitschleppen“ lassen. „So genießen sie mit ihren Wirten den ständigen Orts- und Wasserwechsel. Zur besseren Anheftung sind ihre Zehenspitzen röhrenförmig erweitert.“ (Wulfert 1969) (BIld 5) Die Rädertiere werden zu dem auffallenden Verhalten durch ein Protein veranlasst, dass Asplanchna ins Wasser abgibt.


N. Lyer et al. fanden heraus, dass Br. rubens als Aufsitzer auf den deutlich größeren Daphnien zudem dem räuberischen Rädertier Asplanchna intermedia entkommt. (Bild 7, eine verwandte Asplanchna-Art) Im Experiment zeigte sich, dass die Population von Br. Rubens mit der Möglichkeit, an Cladoceren anzudocken, länger bestehen bleibt als in einem Lebensraum ohne die Wirtstiere. Nach Koste kitten sie auch ihre Eier am Carapax (Panzer) der Wirtstiere fest.(Koste I 1978) Damit dürften auch die Eier eher vor Fressfeinden geschützt sein.

Br. rubens zeigt damit ein anderes Abwehrverhalten gegen Asplanchna als Br. calyciflorus. Die Rädertierart reagiert auch auf das Asplanchna- Protein. Das in seiner üblichen Gestalt gegenüber Angriffen dieser Art wehrlose Rädertier bringt Nachkommen hervor, die mit deutlich stärkeren Hinterdornen versehen sind. Bei Gefahr werden sie bei gleichzeitiger Kontraktion des Körpers abgespreizt, so dass Asplanchna sie nicht zu verschlingen vermag. Auch andere Arten reagieren auf den Asplanchnawirkstoff. Beispielsweise entwickelt Br. urceolaris sericus einen Buckeldorn und Filinia mystacina verlängerte Ruderborsten als Abwehrinstrument gegen Fressfeide. (Wulfert 1969)
Lit.: K. Wulfert, K., (Rädertiere, Wittenberg 1969). Koste, W. , Rotatoria, I. Textband, 2. Neubear. Aufl. Berlin Stuttgart 1978. Lyer, N., Ramakrishna Rao, T. Epizoic mode of life in Brachionus rubens Ehrenberg as a deterrent against predation by Asplanchna intermedia Hudson. Hydrobiologia 313, 377–380 (1995). https://doi.org/10.1007/BF00025973.